12.8.05

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SPIEGEL ONLINE hat etwas missverstanden und behauptet, unter Windows Vista werde keine freie Software mehr laufen.

"Powered by manager-magazin.de" meldet die SPIEGEL ONLINE-Netzwelt heute Unglaubliches über Windows Vista, die kommende Windows-Version von Microsoft:
Unter dem Motto "mehr Sicherheit" teilt der Konzern einen Seitenhieb an die Anbieter freier Software aus und feilt weiter an seinem Monopol. So sollen Word-Dokumente künftig verschlüsselt auf der Festplatte abgelegt und nur von vertrauenswürdiger Software geöffnet werden können.
Das heißt aber auch, dass zum Beispiel das "Open Office" extra zertifiziert werden muss, damit es weiter unter Windows angewandt werden kann. Auf keinen Fall soll man soll man nach dem Willen von Microsoft mit dem neuen Betriebssystem ein Programm ohne gültige Produktlizenz öffnen können. Dadurch kann Microsoft die Benutzung von Freeware praktisch unmöglich machen.
Stimmte diese Nachricht, so würden manager magazin und SPIEGEL ONLINE hier exklusiv Sensationen vermelden. Windows Vista wäre die erste Windows-Version, die dank Zertifikats-Zwang vollständig inkompatibel zu allen bisherigen Microsoft-Betriebssystemen würde. Weltweite Software-Investitionen in Multi-Milliarden-Höhe wären vernichtet, Firmen müßten Zertifikate kaufen, um ihre eigene, intern programmierte Windows-Software nutzen zu können, Anti-Monopol-Verfahren gegen Microsoft bekämen ungeahnten Auftrieb.

Doch Microsofts zweifelhafte Geschäftspolitik hin oder her, die von SPIEGEL ONLINE mitverwertete manager magazin-Meldung ist blanker Unsinn. Auf logisch kaum noch rekonstruierbare Weise vermengt sie Hörengesagtes verschiedener Provenienz:
  1. Microsofts vormals "Palladium" genannte Next Generation Secure Computing Base (NGSCB), in der kryptographisch zertifizierte Programme abgeschottet vom restlichen Windows-System laufen. Die NGSCB wird allerdings in Windows Vista nicht enthalten sein. Zudem setzt sie einen Krypto-Chip voraus, der den meisten heutigen Computern fehlt;
  2. dass neuere Windows-Versionen einschließlich Windows XP Microsoft-zertifizierte Hardware-Treiber vorsehen (jedoch nicht erzwingen - ganz abgesehen davon, dass zertifizierte Treiber aus technischer Sicht sinnvoll sind);
  3. dass Windows Vista eine verschlüsselte System-Festplattenpartition einrichtet und darin abgelegte Dateien nicht mehr zugänglich sein werden, wenn derselbe Rechner z.B. mit einer Linux-Boot-CD gestartet wird. Weder kümmert dies jedoch ein unter Windows laufendes (und nach wie vor installierbares) OpenOffice, noch blockiert es den Austausch von Word- und anderen Dateien über Disketten, CDs oder das Internet.
Ob unabhängig davon zukünftige Microsoft Word-Versionen ihre Dateien verschlüsselt speichern werden, ist zumindest diesem Blog nicht bekannt. Doch selbst wenn dies zuträfe, hätte es nichts mit Windows Vista zu tun.

Nachtrag
Sollte sich die SPIEGEL ONLINE-Redaktion auch wegen dieser Meldung im Netzwelt-Spiegel betrachtet haben, so tat sie es nur mit halbem Auge. In dem Artikel heisst es nun nicht mehr, Microsoft würde die Benutzung von freier Software "praktisch unmöglich machen", sondern bloß "erschweren". Der Unsinn vom Zertifikats- und "Produktlizenz"-Zwang für Software von Drittanbietern blieb unkorrigiert.

1 Kommentare:

Anonymous Anonym said...

Super work performed.

15/12/05 20:04  

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