Jabber und Windbeutel
In seiner Berichterstattung über Google Talk stolpert SPIEGEL ONLINE über den Unterschied von Software und Protokollen, beziehungsweise freier Software und offenen Standards.
SPIEGEL ONLINE berichtet gleich zweifach über Google Talk, Googles neuen Instant Messaging-Service. In der ersten Meldung heißt es:Grundlage des Dienstes werde das sogenannte Jabber-Protokoll sein, eine Open-Source-Alternative zu herstellerspezifischen IM-Systemen.Offenbar kennt die Netzwelt-Redaktion den Unterschied von Open Source (bzw. freier Software) und offenen Standards nicht, deswegen sei er hier erklärt: Open Source bezeichnet Computersoftware unter freien Lizenzen, offene Standards hingegen frei nutzbare Industrienormen - Netzwerkprotokolle, Dateiformate, Softwareschnittstellen -, die von herstellerübergreifenden Gremien wie dem W3C oder der IETF verabschiedet werden und die Interoperabilität von Technik sicherstellen sollen. Das Internet basiert auf offenen Standards wie E-Mail und Web. Die Software, die über seine offenen Standards kommuniziert, kann frei bzw. Open Source sein wie etwa der Mozilla-Browser oder proprietär wie der Internet Explorer. Als technische lingua franca sollen offene Standards möglichst allgemeinverbindlich sein und daher, im Gegensatz zu Open Source-Software, eben nicht beliebige Modifikationen erlauben.
Das Jabber-Protokoll ist, wie in der Wikipedia zu lesen, ein von der IETF unterstützter offener Standard. Aus, wie es scheint, mangelndem Verständnis dieser Tatsache will der zweite SPIEGEL ONLINE-Artikel unter der Überschrift "Windbeutel sind lecker, aber hohl" die Luft aus Google Talk herauslassen. Zahllose Funktionen werden aufgelistet, die andere Instant Messaging- und Voice-over-IP-Dienste Google voraus hätten, doch diesmal fehlt der entscheidende Punkt: Dass Google Talk als erster großer Instant Messaging-Dienst auf einem offenen Standard basiert und daher hilft, die bisherige babylonische Verwirrung der inkompatiblen, herstellereigenen Protokolle von AOL, Yahoo, MSN, ICQ & Co. zu überwinden.
Nicht anders verhielt sich ja einmal mit der von der IETF als RFC 2822 standardisierten Internet-E-Mail gegenüber den ehemaligen hauseigenen Insellösungen von Compuserve, AOL, T-Online, Minitel & Co. Insofern erinnert der Artikel ein wenig an den legendären FAZ-Testbericht aus den 90er Jahren, der im World Wide Web keine ernsthafte Alternative zum BTX-Dienst der Telekom sah.
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