27.10.05

Von Tablet PCs und text books

Die Netzwelt vermeldet Bill Gates' Vision vom Verschwinden gedruckter Medien - die sich durch eine Auslassung und einen Übersetzungsfehler jedoch stark relativiert.

"Gates sagt den Tod der Printpresse voraus", meldet SPIEGEL ONLINE und zitiert aus einem Interview der französischen Zeitung Figaro. Die vermeintliche Zukunftsvision ist allerdings aus dem Kontext gerissen. In dem Gespräch ging es dem Microsoft-Gründer vor allem um schnöde Werbung für seine bislang gefloppten Tablet PCs:
Five years from now we can reasonably hope to see between 60% and 70% of French homes connected to broadband. A lot of schools and students will have Tablet PCs [digitalized notepad-style screens with computer capability, Ed.] and it’s possible to envisage, even if it is a little ambitious, that they will eventually replace traditional text books.
Im restlichen Interview prophezeit Gates eine Abwanderung von nur der Hälfte aller Zeitungsleser ins Netz. Die Schlagzeile vom "Tod der Printpresse" wird auch durch keine seiner sonstigen Aussagen gedeckt. Sie kam wohl nur deshalb zustande, weil die Netzwelt-Redaktion das englische Wort "text book" - Schul- bzw. Lehrbuch - gründlich fehlverstanden hat.

P2P mit Don Corleone, Chicago 1930

Die Tauschbörse iMesh ist besser erreichbar, historisch jünger und weniger mafiös, als SPIEGEL ONLINE es darstellt.

Die Netzwelt berichtet über die Tauschbörse iMesh als einem Versuch, "aus einer illegal operierenden P2P-Börse ein legales Angebot zu machen". Von einem grauen Kasten unterlegt heißt es in dem Artikel:
iMesh: älteste der überlebenden P2P-Plattformen (seit 25.10.2005 von Deutschland aus nicht mehr nutzbar)
Blogger Götz Gringmuth-Dallmer hingegen hat keinerlei Probleme, iMesh von Deutschland aus zu erreichen - und übrigens auch keine damit, urheberrechtlich geschützte Dateien kostenlos und ohne Abspielsperre herunterzuladen. Und mitnichten ist iMesh, das auf Kazaas FastTrack- und das Gnutella-Protokoll aufsetzte, die "älteste der überlebenden P2P-Plattformen".

Den Wechsel eines Managers von der Musikindustrielobby RIAA in die Führungsetage von iMesh charakterisiert SPIEGEL ONLINE wie folgt:
Das ist, als übernähme ein FBI-Direktor die Führung der Corleone-Familie im Chicago der dreißiger Jahre.
Diese Familie existiert nur in der Einbildung des Netzwelt-Redakteurs Frank Patalong - und in Francis Ford Coppolas Filmtrilogie Der Pate, die allerdings in New York und nach 1945 spielt. Davon abgesehen: Ob eine Dienstleistung illegal ist, wenn sie illegale Angebote zwar ermöglicht, von sich aus aber keine Rechtsverletzungen betreibt, ist eine juristisch immer noch nicht unstrittige Frage. In Deutschland war bis zur Urheberrechtsnovelle 2003 das private Tauschen urheberrechtlich geschützter Medien - ob auf iMesh und anderswo - legal. Selbst heute gibt es dafür noch zulässige Ausnahmen, weshalb Vergleiche von Peer-to-Peer-Diensten mit organisiertem Verbrechen eher dem Stil von Industriepropaganda entsprechen als dem eines kritischen Nachrichtenmediums.

(Danke, Götz Gringmuth-Dallmer!)

24.10.05

Telefonierende iPods

Motorolas Mobiltelefon ROKR ist zwar nicht für einen Markterfolg, aber für fortgesetzte Begriffsverwirrung bei SPIEGEL ONLINE gut.

"iPod-Handy floppt bei Musikfans" meldet SPIEGEL ONLINE in seinem Wirtschaftsteil. Simon Brückner, Leser dieses Blogs, merkt dazu an:
Spiegel-Online nennt das Motorola ROKR in seiner Meldung vehement "iPod-Handy". Das ist falsch. "iPod" ist ein Markenzeichen für Apples tragbaren Musikplayer und beschreibt auch die Hardware. Diese ist beim ROKR aber nicht von Apple beeinflusst. Was das ROKR ist, ist also ein "iTunes-Handy", wie es sonst auch überall genannt wird (auch von Apple und Motorola).

Apple stellt lediglich das Software-Interface zur Verfügung. Das ist auch der Grund, warum die SpOn-Leute das Phone nicht im iPod-Store bei Apple finden konnten. Erstens, weil es kein iPod ist. Und zweitens, weil es kein Apple ist.

So wie SpOn sich das vorstellt, wäre dann wohl jeder Rechner, auf dem iTunes installiert ist, ein iPod-Computer ;-)
(Vielen Dank, Simon Brückner!)

22.10.05

Ausweisen oder nicht ausweisen

Detailfehler im Netzwelt-Artikel über personalisierte WM-Tickets.

SPIEGEL ONLINE berichtet über das Kartenverkaufssystem für die Fußballweltmeisterschaft 2006:
Die WM-Tickets sind personalisiert, beruhen auf einer vom Innenministerium mit entworfenen, umfangreichen Datenerhebung und sollen mit RFID-Chips versehen werden, die Personalausweisdaten mit denen des Tickets abgleichen sollen.
Dazu merkt ein Leser dieses Blogs an:
Ja, die Tickets sind personalisiert mit den Personaldaten. Auf dem RFID-Chip ist eine Nummer, die die Daten in der DB aufrufen. Was dort gespeichert ist, muss mit den Daten auf dem Ticket übereinstimmen.

Eine begleitende Personalausweisprüfung findet nicht statt. Die gilt nur für Lieferanten, die irgendwelche bombenverdächtigen Waren zum Stadion liefern. Während sie liefern - die Lieferung muss 48 Stunden vorher telefonisch avisiert werden, kassiert die Bundespolizei im 10 km Entfernung den Personalausweis und führt eine Sicherheits-Überprüfung durch. Für die großen LKW hat Schilys Laden sogar eine Überprüfung durch den Verfassungsschutz angeordnet.

Die Daten in der Ticket-DB werden mit den Meldedaten abgeglichen, außerdem mit der Datei "Gewalttäter Sport". Die Personalisierung der Daten auf dem RFID-Chip kann bis 1 Stunde vor Spielbeginn umgeschrieben werden, natürlich nur dort, wo die Lese/Schreibgeräte stehen. Das sind 3 pro Stadion...

13.10.05

HDTV-iPods

Bei der Vorstellung, 6 Tage und 6 Stunden lang Videos auf einem iPod betrachten zu müssen, sträubt sich SPIEGEL ONLINE und macht aus Stunden kurzerhand Minuten.

Der Netzwelt-Artikel über Apples neue Video-iPods vermeldet im Aufmacher:
Die Gerüchte-Köche haben richtig vermutet. Apple steigt ins Videogeschäft ein. Mit dem neuen iPod-Modell können bis zu 150 Minuten Videofilm gespeichert und auf dem 2,5 Zoll großen Display angesehen werden.
Beide Modelle sind mit 30 bzw. 60 Gigabyte großen Festplatten ausgestattet, ungefähr der siebenfachen Speichermenge einer herkömmlichen DVD. Doch weder hat das iPod-Display HDTV-Auflösung, noch schränkt Apple den Speicherplatz für Videodaten künstlich ein. Vielmehr hat die Netzwelt falsch von einer CNET-Meldung abgeschrieben - und aus 150 Stunden 150 Minuten gemacht.

(Danke, Benedikt Wildenhain!)

Nachtrag

SPIEGEL ONLINE hat die Meldung in zwei Anläufen korrigiert.

12.10.05

Medien, das bin ich

Medientheorie, wie sie SPIEGEL ONLINE schreibt: Herkömmliche Nachrichtenangebote sind "Medien", Blogs nicht.

Die Überschrift "Mischmasch aus Blogs und Medien" ist programmatisch: In einem Bericht über Yahoos neuen Nachrichtenservice vertritt die Netzwelt einen höchst eigenwilligen Medien-Begriff, zu dem Marco Maas' Weblog themaastrix alles nötige anmerkt.

"Wer künftig auf Yahoo News nach aktuellen Meldungen sucht, weiß nicht, ob ihm dort zuerst Medienmeldungen oder Blog-Einträge begegnen werden", schreibt SPIEGEL ONLINE. Frei nach René Magritte stellen wir also fest: Dies hier ist keine Medienmeldung...

(Danke, Marco Maas!)

10.10.05

Aus dem Netzwelt-Glossar, J-L

Auf kostenpflichtigen Seiten bietet SPIEGEL ONLINE ein "kleines IT-Glossar" feil. Wer insgesamt 1,50 Euro bezahlt, erhält jedoch nicht immer gute Begriffserklärungen. Die dritte aus einer Reihe von Notizen.

  • Stichwort "Java":
    Vom US-Computerhersteller Sun Microsystems entwickelte Programmiersprache.
    Tatsächlich ist Java nicht nur eine Programmiersprache, sondern eine ganze Software-Plattform mit einer virtuellen Maschine und umfangreichen Funktionsbibliotheken, die z.B. eigene graphische Bedienelemente umfassen. Damit ist Java eine Alternative zu den Software-Programmierschnittstellen von Betriebssystemen wie Windows und MacOS. Und es kann auch Programme in anderen Programmiersprachen - z.B. Python - ausführen, sofern diese an seine virtuelle Maschine angepasst wurden.
    Java ist eine vergleichsweise einfache Sprache
    Vielleicht verwechselt die SPIEGEL ONLINE-Redaktion hier Java mit der simpleren Sprache Javascript - die trotz ihres Namens nichts mit Java zu tun hat. Tatsächlich ist Java, die objektorientierte Programmiersprache kein leichter Brocken und in Umfang und Komplexität mit C++ vergleichbar.
    Mit Java programmierte Anwendungen benötigen relativ wenig Speicherplatz und werden deshalb auch oft in mobilen Geräten eingesetzt.
    Hier fällt es dem Netzwelt-Spiegel schwer, sich Hohngelächter und sarkastische Bemerkungen zu verkneifen. Java ist berüchtigt für seinen Resourcenhunger, und Java-basierte Programme sind als zähe und träge Kolosse verschrieen. Auf dem Rechner des Autors schluckt eine laufende Java-Umgebung 177 Megabyte Arbeitsspeicher - selbst dann, wenn sie nichts tut. Dass Java-Anwendungen "relativ wenig Speicherplatz" bräuchten, glaubt SPIEGEL ONLINE, weil es die Standard-Java-Umgebung mit dem sogenannten "embedded Java" verwechselt, einer stark funktionsreduzierten Miniversion von Java für Kleingeräte.

  • Stichwort "Linux":
    Offenes Betriebssystem des finnischen Entwicklers Linus Torvalds. Tausende Entwickler rund um den Globus arbeiten seit 1991 an dem Projekt mit und stellen ihre Ergebnisse samt Quellcode ohne Lizenzgebühr frei zur Verfügung.
    Tatsächlich entwickelt Linus Torvalds lediglich einen Betriebssystem-Kern namens Linux, der sich zum vollständigen System so verhält wie ein Motor zu einem Auto. An Torvalds' Software haben nicht tausende, sondern genau 469 Programmierer mitgewirkt, wie eine Linux-Quellcodedatei namens "CREDITS" verrät. Die tausenden freier Entwickler arbeiten vielmehr an anderen Komponenten des Gesamtsystems, von denen einige schon lange Jahre vor 1991 entstanden. Das hätte die Netzwelt-Redaktion wissen können, denn ihr Glossar verzeichnet ja auch das Stichwort "GNU".

6.10.05

Nationale Lösungen

Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) warnt davor, E-Mail über angeblich abhörbare Blackberry-Taschencomputer zu verschicken - obwohl gewöhnliche E-Mail auf ihrer Versandstrecke sowieso von jedermann mitgelesen werden kann.

Die SPIEGEL ONLINE-Meldung "Bundesamt warnt vor Blackberry" bezog sich auf einen Artikel aus der Wirtschaftswoche und war auch in anderen Medien zu lesen:
Ausdrücklich wird darauf hingewiesen, dass die ausländischen Blackberry-Rechenzentren außerhalb des Einflussbereichs deutscher Unternehmen und Behörden liegen. Das BSI bevorzuge deshalb "nationale Lösungen".
Volker Weber notiert dazu auf seiner Website Einwände, auf die eigentlich auch kritische Journalisten kommen sollten:
Ich mag nicht so recht beurteilen, inwieweit man sich durch ein Rechenzentrum, das nicht auf teutschem Poden steht, mehr den Geheimdiensten ausliefert als InDULa. Was mich aber sehr wundert ist: Die allermeisten E-Mails (five nines) in meiner Inbox sind unverschlüsselt. Die halbe Exchange-Kundschaft, die wegen Sicherheitsbedenken keinen externen Zugriff auf ihre 5.5er-Landschaft erlauben kann, leitet die Eingangspost nach GMX und Konsorten. In jeder Flughafenwartehalle sitzen Manager, die ihre Post völlig unverschlüsselt mit Klartext-Passwort von ihrer POP-Box über offenes WLAN abholen.

Der Blackberry hat womöglich Sicherheitslücken. Das impliziert, dass es neben den Lücken noch was gibt, von dem Otto Normalmailer allenfalls mal gehört hat: Sicherheit.
Ob da - wie in einem Kommentar auf der Seite zu lesen - eine Bundesbehörde Euro-Lobbyismus betreibt, weil Nokia nächste Woche sein Konkurrenzprodukt zu Blackberrys E-Mail-Dienst präsentiert?

4.10.05

Mächtig richtig

Wieder einmal verhilft das Manager Magazin SPIEGEL ONLINE zu einer Analyse des Mysteriums Google, wieder einmal stecken die Fehlerteufel im Detail.

"Powered by manager-magazin.de" bietet die Netzwelt erneut einen Artikel über Google, heute mit der Schlagzeile "Google: Das neue Microsoft". Er steht ganz im Zeichen einer anberaumten Produktankündigung von Google und Sun, die im Netz heftige Spekulationen über ein Web-basiertes "Google Office" ausgelöst hat.

Autor Matthias Kaufmann behauptet:
Google will so mächtig werden wie Microsoft in seinen besten Tagen. [...] Gehen die Pläne der Gründer Larry Page und Sergey Brin auf, könnte die einstige Garagenfirma in wenigen Jahren eine Marktdominanz erreichen, die nur mit der von Microsoft zu vergleichen ist.
Den Beweis dieser "Pläne" bleibt der Artikel allerdings schuldig. Dass Google Microsoft vom Thron stoßen wolle, hat bislang nicht Google, sondern nur das Management von Microsoft behauptet. Der Artikel führt als Beweis dafür Googles "Webcomputing" an, Software also, die als Webdienst genutzt wird:
Das hat Google im begrenzten Maßstab bereits mit der E-Mail-Software Gmail, mit Google Earth und dem Telefonangebot Google Talk vorgemacht.
Allerdings ist Google Earth kein Webdienst, sondern eine klassische Windows-Software. Das gleiche gilt für Google Talk, das zudem kein "Telefonangebot", sondern bislang nur ein Instant-Messaging-Programm ist.

Zum vermeintlichen Kampf von David Google gegen Goliath Microsoft heißt es dann:
Bereits beim Thema Suchmaschinen hat Google das Angebot aus Redmond überrundet.
Tatsächlich gab es von Microsoft gar keine Suchmaschine, die überrundet werden konnte, als Google 1997 an den Start ging. Die Redmonder lancierten ihr "MSN Search" erst 2004 - als erklärte, aber nur mäßig erfolgreiche Google-Konkurrenz.

Googles Geschäftsmodell resümiert der Artikel wie folgt:
Um die lebenswichtige Werbung so passgenau auf die Nutzer abstimmen zu können, werden in einem Umfang Informationen gesammelt, dass Geheimdienste vor Neid erblassen.
...was angesichts von Systemen wie Echelon das Ausmaß geheimdienstlicher Telekommunikations-Abhorchung grob verharmlost.

Nachtrag

Viel Aufregung um nichts: Die gemeinsame Presseerklärung von Google und Sun ist veröffentlicht, verkündet eine banale Vertriebskooperation und entlarvt alle Gerüchte über eine Web-Version von OpenOffice... ....als Gerüchte.

2.10.05

Ursprung im Mythos

Wieder gibt es eine urbane Netz-Legende in SPIEGEL ONLINE zu lesen, diesmal von der Geburt des Internet aus "einem US-Militärprojekt".

Die Netzwelt berichtet über die Ergebnisse einer Studie:
Wie viele Erwachsene wussten die Zehnjährigen nicht, dass das Internet seinen Ursprung in einem US-Militärprojekt hatte.
Die Netzwelt-Redaktion weiß es allerdings auch nicht besser. Denn das ARPANET, aus dem das Internet hervorging, war kein "Militärprojekt", sondern ein Technologie-Forschungsnetz, das anfangs vier Universitäten - in Los Angeles (UCLA), Stanford, Santa Barbara (UCSB) und Utah - miteinander verband. Es wurde von der Forschungsagentur ARPA des US-Verteidigungsministeriums, jedoch nicht vom Militär betrieben.

Auch das Netzwelt-Glossar vermerkt unter dem Stichwort "Internet":
Wurde in den 70er Jahren in den USA zu militärischen Zwecken (ARPANET) entwickelt.
Tatsächlich begann die Entwicklung des ARPANET spätestens 1966, die seiner technischen Architektur schon 1962, und am 21.11.1969 ging die erste Netzverbindung zwischen Stanford und Los Angeles in Betrieb.