31.8.05

Megapixel-Mythen

Ein Videocamera-Testbericht stellt Bildauflösungswerte heraus, von denen man jedoch weniger hat, als es scheint.

"Powered by manager-magazin.de" verweist die SPIEGEL ONLINE-Netzwelt auf die Ergebnisse eines Camcorder-Vergleichstests von CHIP Online. Im Artikel heißt es unter anderem über eine Sony-Kamera, dass sie "mit 800.000 Pixel schärfere Aufnahmen erzeugt wie [sic] der Testsieger von Panasonic", über ein Canon-Modell, dass es "mit 1,33 Megapixel zwar die höchste Auflösung, mit 600 Euro aber auch den höchsten Preis erzielt" und im Resümée: "Ein wichtiges Kaufkriterium ist neben der Bildauflösung auch die Akkulaufzeit".

Zumindest dem gemeinen Leser wird dabei nicht klar, dass die aufgezeichneten Videos nach der Fernsehnorm PAL maximal 720*576 Bildpunkte auflösen - also 0,4 Megapixel. Schon die Aussage im originalen CHIP-Testbericht, "der JVC nimmt Bilder mit 1,33 Megapixel [...] auf", ist falsch bzw. trifft nur auf Standbilder zu, die die Kamera als Digitalfotos speichert.

Die höhere Megapixel-Auflösung der Kamerasensoren dient als Puffer für elektronisch entwackelte Bilder, bei Standardgeräten - mit nur einem Sensor für die drei Grundfarben Rot, Grün und Blau - auch als Auflösungsreserve fürs Herunterrechnen ("Interpolieren") des realen 0,4-Megapixel-Videos. Über Sinn und Unsinn höherer Megapixel-Auflösungen bei PAL-/NTSC-Camcordern ist man in einschlägigen Internet-Foren geteilter Meinung. Dass sie primär Marketingzwecken dienen und über die tatsächliche Bildqualität einer Videocamera wenig aussagen, dürfte jedoch common sense sein. Schließlich wurde auch - "trotz der relativ geringen Auflösung" - eine 0,54 Megapixel-Videocamera (mit jedoch drei separaten Bildsensoren) CHIP-Testsieger.

28.8.05

Tauschbörse iTunes

SPIEGEL ONLINE hält "peer-to-peer" offenbar für einen Überbegriff von Musik-Downloadangeboten und rubriziert Apples iTunes unter "P2P".

SPIEGEL ONLINE berichtet heute über neue Entwicklungen um den Musik-Downloaddienst iTunes. Nicht nur über diesem Artikel, sondern auch früheren Netzwelt-Berichten über Apples erfolgreiches Bezahl-Angebot thront das Logo:

P2P

Dabei ist iTunes gerade keine peer-to-peer ("P2P")-Börse. Statt Musik und andere Daten untereinander zu tauschen, kaufen iTunes-Kunden ihre Songs ganz klassisch von einer Firma und laden sie von einem zentralen Server herunter.

Kann die Netzwelt-Redaktion Musikdateien nicht von Netzwerkdiensten unterscheiden? Oder hat sie sich darum schlicht nicht geschert? Vielleicht versieht SPIEGEL ONLINE ja seine Kolumne "Abgehört - Die wichtigsten CDs der Woche" künftig mit dem Logo "Radio".

27.8.05

Stars vs. Suprnovas

Missverständliches über Hollywoods Mitwirken am Ende einiger Bittorrent-Websites

In einem Artikel, der auf dieser ZDNet-Meldung basiert, berichtet SPIEGEL ONLINE über Gerichtsverfahren gegen Nutzer, die Filme mittels der peer-to-peer-Software Bittorrent getauscht haben. In der SPIEGEL-Version heißt es:
Ein Gericht in Texas hatte zu Beginn des Jahres angeordnet, dass die Server-Logs einer großen Seite namens "LokiTorrent" den Fahndern aus Hollywood übergeben werden. "LokiTorrent", "SuprNova" und andere große Torrent-Seiten waren im Verlauf des Anti-Piraterie-Feldzuges geschlossen worden, den Hollywood im vergangenen Dezember gestartet hatte.
Dies suggeriert, dass die Filmindustrie die Schließung der Websites erwirkt habe. Tatsächlich trifft dies nur auf LokiTorrent zu, mit dessen Eigentümer sich die Motion Pictures Association of America (MPAA) außergerichtlich einigte, nicht auf SuprNova, die von sich aus aufgab. Der Originaltext von ZDNet lautet deshalb auch:
Many of the most popular sites, including SuprNova, LokiTorrent and others, have since shut down, either voluntarily or on the heels of lawsuits.
Nachtrag
Der Wortfeld-Blog ist mit dieser Notiz nicht einverstanden:
Wenn etwa SpOn schreibt, mehrere Torrent-Seiten seien “im Verlauf des Anti-Piraterie-Feldzuges” geschlossen worden, dann ist das korrekt. Man kann es ausführlicher schreiben, falsch ist es nicht. Netzwelt-Spiegel dazu: “Dies suggeriert, dass die Filmindustrie die Schließung der Websites erwirkt habe.” Hat sie natürlich, wenn auch nicht immer auf gerichtlichem Wege oder per außergerichtlicher Einigung — das hat SpOn aber auch gar nicht geschrieben.
(Gute Kritik, doch der Netzwelt-Spiegel bleibt bei seiner Ansicht, dass die Vermutung, die Filmindustrie habe die Schließung von SuprNova erwirkt, nach wie vor unbewiesen ist.)

Zweiter Nachtrag
Jörg-Olaf Schäfers, Leser dieses Blogs, weist auf diesen Artikel hin, demzufolge auch die originale ZDNet-Meldung nicht stimmt. Zitat:
Der Betrieb des Torrent-Verzeichnisses Loki Torrent wurde tatsächlich im Februar eingestellt (vgl.: "Hollywood stellt LokiTorrent kalt"). Und es wurde damals wirklich befürchtet, dass die Server Logs für Klagezwecke genutzt werden könnten. Doch die aktuellen Klagen haben nichts mit diesem Vorgang zu tun, denn wie es bei Ziff Davis/C|Net weiter heißt, bestätigt auch "eine Sprecherin des Verbandes, dass keine der neuen Klagen mit diesen Vorgängen etwas zu tun haben". Allerdings scheint es durchaus erwünscht, dass in der Presse derart unklare Meldungen Verbreitung finden, denn wie es weiter heißt, "hoffen die Hollywood-Anwälte, dass die Angst vor Entdeckung mehr Menschen vom Versuch abhalten wird, Spielfilme kostenlos aus dem Internet zu laden".

25.8.05

SPIEGEL ONLINE macht in Analyse

Nach der Agenda 2010 nun "Google 2010": SPIEGEL ONLINE "analysiert denkbare Szenarien" der Zukunft des Internet-Unternehmens - mit Merkwürdigkeiten im Detail.

Am Anfang des Artikels ein Widerspruch: "Chat-Software, E-Mail, personalisierte Homepages - Google bietet zunehmend Produkte an, die mit klassischer Internetsuche nichts zu tun haben", heißt es im Aufmacher, dass jedoch "alle bisherigen Projekte mit dem Aufspüren und Sortieren von Informationen zu tun" hätten - der "E-Mail-Service Gmail etwa googelt das Postarchiv" - drei Absätze später.

Der Satz "'Google macht in Suche'", der "auf der Homepage" stehen soll, lässt sich selbst per Google-Suche nicht auf Google finden. Vielmehr heißt es nicht auf der Homepage, sondern der Seite http://www.google.com/intl/en/corporate/tenthings.html: "Google does search". In weniger grauenhaftem Deutsch könnte man den Satz als "Google kümmert sich ums Suchen" übersetzen.

Eine widersprüchliche Meinung hat der Artikel von Googles Software-Entwicklern. Einerseits kursiere Spott, "Google habe einfach zu viel Geld und zu viele brillante Programmierer"; andererseits habe Google "kleine Start-Ups mit interessanter Technologie" aufgekauft, die "Googles code monkeys dann weiterentwickelten". Wie im Jargon File steht, einer Standardreferenz für Terminologie der Programmiererkultur, ist "code monkey" im Englischen mildly insulting: "a person only capable of grinding out code, but unable to perform the higher-primate tasks of software architecture, analysis, and design". (Google-Programmierer wie Rob Pike, den Architekten des Betriebssystems Plan 9, "code monkeys" zu nennen, wäre allerdings keine leichte Beleidigung mehr.)

Schließlich versteigt sich der Autor zur Behauptung: "Derzeit kann Microsofts Betriebssystem Festplatten de facto nicht durchsuchen". Tatsächlich beherrscht die Windows-Suchfunktion schon seit einem Jahrzehnt Datei- und Volltextsuche auf der Festplatte - nur keine indizierte Suche, die wie eine Web-Suchmaschine passende Dateien augenblicklich findet und relevanzsortiert auflistet.

Nachtrag
Auch hier kritisiert der Wortfeld-Blog:
SpOn schreibt, dass “Googles code monkeys” die Ideen von Startups weiterentwickeln. Netzwelt-Spiegel sieht das als Beleidigung und verweist auf den Eintrag code monkey in der Begriffssammlung Jargon File. Und wählt dann von den drei Definitionen diejenige aus, die zu dieser Ansicht passt.
Hier die drei Definitionen von "code monkey" aus dem Jargon File:
  1. A person only capable of grinding out code, but unable to perform the higher-primate tasks of software architecture, analysis, and design. Mildly insulting. Often applied to the most junior people on a programming team.
  2. Anyone who writes code for a living; a programmer.
  3. A self-deprecating way of denying responsibility for a management decision, or of complaining about having to live with such decisions. As in "Don't ask me why we need to write a compiler in COBOL, I'm just a code monkey."

Angriff der Übersetzungs-Hacker

Wieder einmal hat SPIEGEL ONLINE Mühe beim Abschreiben von Agenturmeldungen.

Unter der Überschrift "Hackerangriff auf US Air Force" berichtet SPIEGEL ONLINE von einem Computer-Eindringling, der sich Zugang zu einer Datenbank der US Air Force verschaffte, in der Namen, Geburtsdaten, Sozialversicherungsnummern und Lebensläufe von rund der Hälfte ihrer Offiziere gespeichert waren. In der umgeschriebenen Meldung (hier das englische Original von Reuters) wird nicht nur Master Sergeant Randy Mitchell zu "Mitchel" mit einem "l". Es ist auch von einem "legalen Passwort" die Rede, das dem ungebetenen Besucher Zugang verschafft habe - und beim Lesen die Frage provoziert, was denn ein illegales Passwort sein möge. Die Antwort: eine Fehlübersetzung aus dem englischen Originaltext, in dem von einem "legitimate password", einer regulären Nutzerkennung, die Rede ist.

Die Schlagzeile vom "Hackerangriff" schließlich ist zumindest fragwürdig. Über den Fall ist noch nichts bekannt außer der Tatsache, dass sich jemand mit fremder Kennung ins System eingeloggt hat. Hypothetisch könnte es die Großmutter eines Air Force-Offiziers gewesen sein, die eine Notiz mit der Nutzerkennung in seiner Kleidung fand. Von Mr. Mitchell zumindest stammt die Aussage: "The system was not hacked". Auch die SPIEGEL ONLINE-Überschrift vom "Identitätsklau" ist seinen Angaben nach unbestätigt: "Thus far there has been no evidence of identity theft related to this incident".

Ga-ga Gadget!

Unsinniges über "Widgets" in der Netzwelt.

SPIEGEL ONLINE testet den Google Desktop 2 und schreibt über dessen "Widgets", kleine Hilfsprogramme, die Informationen auf dem PC-Desktop anzeigen:
Das Konzept ist nicht wirklich neu, früher hießen solche Progrämmchen TSR oder PIM. Widgets gibt es für Windows, Mac OS und Linux/Unix.
Hier geht eine Menge durcheinander: "PIM" ist ein Akronym für "Personal Information Manager" und bezeichnet gewöhnlich Programme, die Adressen- und Terminverwaltung, Aufgabenlisten und Notizblock kombinieren, nicht aber, wie es im SPIEGEL ONLINE-Artikel heißt, "Temperaturen, Aktienkurse oder News" anzeigen. Richtig surreal ist die Definition und Herleitung von "Widget":
Der Begriff Widget setzt sich aus "Windows" und "Gadgets" zusammen - wobei mit Windows nicht das Microsoft-Betriebsystem sondern "X Windows" aus der Unix-Welt gemeint ist.
Ein Blick in die Wikipedia hätte hier nicht geschadet:
Widget is a general-purpose term, or placeholder name, for any unspecified device, including those that have not yet been invented. It is commonly used in textbook and other examples where the identity of the product or function is irrelevant and could be distracting: students may be asked to design a business plan for the XYZ Widget Company.
Der Wikipedia-Artikel erklärt auch, dass in der Softwareentwicklung graphische Bedienelemente von Programmen - aber nicht nur diese - als "widgets" firmieren. Mit dem X-Window-System (das übrigens nicht "X-Windows" heißt) aus der Unix-Welt hat dies jedoch nichts zu tun. Ganz im Gegenteil bringt das X-Window-System selbst keine graphischen Bedienelemente mit, sondern erhält diese erst durch zusätzliche Software.

Nachtrag

Der Wortfeld-Blog kritisiert diese Kritik und verweist auf zwei andere Wikipedia-Artikel (diesen in der englischen und diesen in der deutschen Fassung), deren Definitionen von "widget" sich mit dem SPIEGEL ONLINE-Artikel decken:
Netzwelt-Spiegel beklagt sich über einen Artikel zu Widgets. Laut SpOn ist der Begriff eine Zusammenziehung von Windows und Gadget und stammt ursprünglich aus der X-Window-Welt. Netzwelt-Spiegel: “Ein Blick in die Wikipedia hätte hier nicht geschadet”. Dort steht allerdings: “Some say that the word ‘widget’ is derived from the combination of ‘window’ and ‘gadget’.” Auch dies: “Der Begriff wurde zunächst auf derartige Elemente im X-Window-System angewendet.”
So sei diese Notiz wie folgt korrigiert: Laut Webster's Ninth Collegiate Dictionary ist das Wort "widget" ein "alter. of gadget" und bedeutet entweder "gadget" oder "an unnamed article considered for purposes of hypothetical example". Dem Lexikon zufolge wurde das Wort im Jahr 1926 erstmals nachgewiesen, so dass es sich bei der zweiten, widersprüchlichen Angabe der Wikipedia mit fast sicherer Wahrscheinlichkeit um eine Pseudo-Herleitung handelt. Die Definition in der deutschen Wikipedia - die offenbar die Quelle für die SPIEGEL ONLINE-Formulierung war - ist in der zitierten Form falsch [und wurde deshalb gerade geändert...].

Jabber und Windbeutel

In seiner Berichterstattung über Google Talk stolpert SPIEGEL ONLINE über den Unterschied von Software und Protokollen, beziehungsweise freier Software und offenen Standards.

SPIEGEL ONLINE berichtet gleich zweifach über Google Talk, Googles neuen Instant Messaging-Service. In der ersten Meldung heißt es:
Grundlage des Dienstes werde das sogenannte Jabber-Protokoll sein, eine Open-Source-Alternative zu herstellerspezifischen IM-Systemen.
Offenbar kennt die Netzwelt-Redaktion den Unterschied von Open Source (bzw. freier Software) und offenen Standards nicht, deswegen sei er hier erklärt: Open Source bezeichnet Computersoftware unter freien Lizenzen, offene Standards hingegen frei nutzbare Industrienormen - Netzwerkprotokolle, Dateiformate, Softwareschnittstellen -, die von herstellerübergreifenden Gremien wie dem W3C oder der IETF verabschiedet werden und die Interoperabilität von Technik sicherstellen sollen. Das Internet basiert auf offenen Standards wie E-Mail und Web. Die Software, die über seine offenen Standards kommuniziert, kann frei bzw. Open Source sein wie etwa der Mozilla-Browser oder proprietär wie der Internet Explorer. Als technische lingua franca sollen offene Standards möglichst allgemeinverbindlich sein und daher, im Gegensatz zu Open Source-Software, eben nicht beliebige Modifikationen erlauben.

Das Jabber-Protokoll ist, wie in der Wikipedia zu lesen, ein von der IETF unterstützter offener Standard. Aus, wie es scheint, mangelndem Verständnis dieser Tatsache will der zweite SPIEGEL ONLINE-Artikel unter der Überschrift "Windbeutel sind lecker, aber hohl" die Luft aus Google Talk herauslassen. Zahllose Funktionen werden aufgelistet, die andere Instant Messaging- und Voice-over-IP-Dienste Google voraus hätten, doch diesmal fehlt der entscheidende Punkt: Dass Google Talk als erster großer Instant Messaging-Dienst auf einem offenen Standard basiert und daher hilft, die bisherige babylonische Verwirrung der inkompatiblen, herstellereigenen Protokolle von AOL, Yahoo, MSN, ICQ & Co. zu überwinden.

Nicht anders verhielt sich ja einmal mit der von der IETF als RFC 2822 standardisierten Internet-E-Mail gegenüber den ehemaligen hauseigenen Insellösungen von Compuserve, AOL, T-Online, Minitel & Co. Insofern erinnert der Artikel ein wenig an den legendären FAZ-Testbericht aus den 90er Jahren, der im World Wide Web keine ernsthafte Alternative zum BTX-Dienst der Telekom sah.

Zuviel Bits, zu wenig Browser

SPIEGEL ONLINE schreibt zwei populäre Mythen über Windows 95 fort.

SPIEGEL ONLINE widmet Windows 95 einen Rückblick zum zehnjährigem Geburtstag und schreibt:
Für die PC-Welt war Windows 95 ein Meilenstein. Es war das erste 32-Bit-Betriebssystem für den Heimanwender aus dem Hause Microsoft, machte Multitasking möglich und bot erstmals eine Plug-and-Play-Funktion, um das Installieren neuer Hardware zu erleichtern.
Tatsächlich war Windows 95 kein vollständiges 32-Bit-Betriebssystem, sondern
ein 16-/32-bittiges Hybrid unter dessen graphischer Ebene immer noch ein altes 16-bittiges DOS lief. Dabei blieb es auch im späteren Windows 98 und Windows ME. Das erste gezielt an Heimanwender vermarktete 32-Bit-Betriebssystem von Microsoft war Windows XP. Doch schon vor Windows 95 gab es für PC-Besitzer 32-bittigen, Multitasking-fähigen Ersatz für ältere Windows-Versionen; IBMs Windows-kompatibles OS/2 und Microsofts Windows NT.

Dann behauptet SPIEGEL ONLINE:
Einen Webbrowser hatte Windows 95 nicht an Bord, es gab keinen aus dem Hause Microsoft.
Tatsächlich gab es 1995 bereits den Internet Explorer Version 1.0, der Bestandteil von Microsofts Plus!-Paket für Windows 95 war.

Was ist ein BBS?

...werden sich wahrscheinlich einige Leser des SPIEGEL ONLINE-Artikels über die berühmte Online-Community "The Well" gefragt haben.

Die Nachricht, dass "The Well" zum wiederholten Male verkauft werden soll, nimmt die Netzwelt zum Anlass eines Rückblicks auf dessen Geschichte und schreibt:
Als Stewart Brand and Larry Brilliant ihre Online-Community "The Well" 1985 aus der Taufe hoben, sprach nichts dafür, dass damit mehr als nur ein weiteres Bulletin Board System ("BBS") entstehen würde, wie sie in den achtziger Jahren überall ins Kraut schossen.

Die meisten dieser elektronischen "Briefkästen" waren Diskussionsplattformen für meist technische Probleme, mitunter auch schon Tauschplätze für allerlei Nacktheiten.
Im deutschen Sprachraum sind solche privaten Modem-Einwahlrechner mit Nachrichten-, Diskussionsforen und Downloadangebot weder unter dem Namen "BBS", noch als "Briefkästen", sondern als "Mailboxen" bekannt. Wie die Wikipedia anmerkt, ist dies zwar ein Pseudo-Anglizismus, aber deutschsprachigen Lesern nun mal ebenso verständlicher wie "Handy" statt "cellular phone".

Bei anderen Aussagen des Artikels sind vorsichtige Fragezeichen angebracht:
The Well wurde so zum Prototypen der Online-Community, 1994 aufs WWW transponiert.
Die ersten Versionen Internet-basierter Usenet-Newgroups entstanden 1979, sechs Jahre vor The Well. Das populäre französische Minitel startete 1982. - Und The Well migrierte keineswegs nur ins Web, sondern bot und bietet auch E-Mail und Shell-Zugang per Telnet/SSH an.
Für die Vordenker und Entwickler der entstehenden Cyberkultur wurde The Well zum Marktplatz der Ideen.
Der Wikipedia zufolge ist dies zu nicht unerheblichen Teilen ein Journalisten-Mythos:
The WELL was frequently mentioned in the media in the 1980s and 1990s, probably disproportionately to the number of users it had relative to other online systems. This has diminished but not disappeared in recent years, with other online communities becoming commonplace. This early visibility was largely the result of the early policy of providing free - "comped" - accounts for journalists and other members of the media. As a result, for many journalists it was their first experience of online systems and, later, the Internet, even though other systems existed.
(Bei aller Ausführlichkeit lässt der SPIEGEL ONLINE-Artikel übrigens unerwähnt, dass The Well als "Whole Earth 'Lectronic Link" aus einem Offline-Community-Medium hervorging, dem hippiekulturellen Whole Earth Catalogue.)

Aus anderen Ressorts

Den Netzwelt-Spiegel erreichen immer wieder Hinweise auf Fehler in SPIEGEL ONLINE-Artikeln, die nicht aus dem "Netzwelt"-Ressort stammen und keine Computerthemen zu Gegenstand haben. Eine Begleitung des gesamten SPIEGEL ONLINE-Angebots sprengt jedoch Thema und Kapazität dieses Blogs.

Vielleicht können andere sich dessen annehmen. Hier zwei Hinweise:

Henning Störk fiel auf, dass für SPIEGEL ONLINE eine Minute offenbar 100 Sekunden hat, wenn es im Bericht über die Wahlwerbespots der von der Satirezeitschrift Titanic gegründeten Partei namens "Die Partei" heißt, man könne zwecks product placement von ihnen "25 Sekunden exklusiv ersteigern. Die Viertel-Minute wird dann vom 'Titanic'-Team in den Spot hinein geschnitten". - Mittlerweile wurde der Artikel korrigiert.

Stephan Herz schreibt zum Artikel "Zicke ist tot", in dem es heißt: "Der Draht gehört nicht zum Schalter, er wurde dort angebracht. Er stand unter Strom, 220 Volt":
Nachtrag

Florian Strubel ist dieser Bericht über ein Elektroauto von Mitsubishi aufgefallen. 180 km/h sei es schnell, 250 km Reichweite soll es haben, doch der eingebaute Energiespeicher ist "eine Lithium-Ionen-Batterie mit einer Kapazität von 95 Ah und einer Spannung von 14,8 Volt".

Florian Strubel merkt dazu an: "Das entspricht der Starterbatterie eines herkömmlichen Diesels - und ist natürlich Unsinn." Er weist auf die (nicht verlinkte) Vorlage des Artikels hin, eine Presse-Mitteilung von Mitsubishi, aus der auch die Bilder stammen. Sein Fazit: "Jetzt hätte SPIEGEL ONLINE nur noch richtig abschreiben müssen: Hier ist nämlich von 24 Batterien des o.a. Kalibers die Rede!"

19.8.05

GNU-Haarigkeiten

Missverständliches über freie Lizenzen.

Ein Detail, aber vielleicht doch erwähnenswert: Im heutigen Netzwelt-Aufmacher über kostenlose Lehr- und Fachbücher im Netz schreibt Holger Dambeck, dass die "Wikibooks" des Wikimedia-Projekts "unter einer sogenannten GNU-Lizenz veröffentlicht" werden, "wie unter anderem auch der Quellcode des Betriebssystems Linux".

Sofern Linux als gesamtes Betriebssystem gemeint ist, stimmt dies nicht, denn für viele seiner Komponenten - etwa die graphische Ebene X11 - gelten andere freie Lizenzen. Ist nur Linux im engeren Sinne des von Linus Torvalds entwickelten Betriebssystemkerns gemeint (der sich zum Gesamtsystem ähnlich verhält wie ein Motor zu einem Auto), so steht dieser zwar unter einer GNU-Lizenz, doch nicht nur im Quellcode, wie die SPIEGEL ONLINE-Formulierung suggeriert. Dieselbe Lizenz, mit denselben Rechten und Spielregeln, gilt auch für ein fertig kompiliertes Linux.

Und zu guter letzt verwischt in der Formulierung des Netzwelt-Redakteurs, dass Wikipedia und Wikibooks unter einer anderen GNU-Lizenz stehen als Linux, nämlich der GNU Free Documentation License statt der GNU General Public License.

18.8.05

Justiz der Netzwelt

SPIEGEL ONLINE verzwölffacht versehentlich das Strafmaß des AOL-Adressenklauers.

Gewiss gibt es Internetnutzer, die Spam-Adressenhändlern Gefängnisstrafen knapp unter lebenslänglich an den Hals wünschen. Bei SPIEGEL ONLINE war der Wunsch heute Vater der Nachricht:
"Ein ehemaliger AOL-Mitarbeiter ist zu 15 Jahren Haft verurteilt worden. Er gab zu, 92 Millionen E-Mail-Adressen zum Verschicken von Spams verkauft zu haben."
Tatsächlich hat man in der Netzwelt-Redaktion, peinlich, peinlich, eine Agenturmeldung falsch abgeschrieben. Google News verzeichnet zur Zeit 236 verschiedene Nachrichtenquellen - z.B. diese - die allesamt von 15 Monaten Haftstrafe für den ex-AOL-Angestellten berichten. (Und dem Netzwelt-Redakteur hätte auch etwas auffallen können, als er schrieb: "Das Urteil galt als vergleichsweise milde.")

Nachtrag
SPIEGEL ONLINE hat die Meldung - stillschweigend, wie immer - korrigiert.

17.8.05

Diese Individuen!

Wegen einer holprigen Übersetzung hat SPIEGEL ONLINE, ohne es zu merken, keine gute Meinung von Porno-Gegnern.

SPIEGEL ONLINE informiert über Probleme bei der Einführung der Porno-Internet-Domain ".xxx" in einem Bericht, der weitgehend auf einem Artikel der Computernachrichten-Website CNET basiert, einschließlich des folgenden Zitats:
"Das Handelsministerium hat beinahe 6000 Briefe und E-Mails von Individuen erhalten, die sich besorgt über den Einfluss von Pornografie auf Familien und Kinder äußern", schrieb Michael Gallagher, ein Staatsekretär in der US-Behörde laut CNet.com an Icann, die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers.
Nils Godendorff, Leser dieses Blogs, merkt dazu an, dass man die individuals expressing concern about the impact of pornography on families and children, von denen im Originaltext die Rede ist, "im Deutschen nicht mit 'Individuen' übersetzen kann, was leicht despektierlich klingt". Er verweist auf Bastian Sicks Artikel "Falsche Freunde", in dem rekonstruiert wird, wie sich "Hollywood-Stars, die Monster kreieren, explodierende Boiler, die zu Schiffskatastrophen führen, schwerer Drogenmissbrauch in einem US-Krankenhaus" dank Fehlübersetzungen in deutsche Nachrichten schmuggeln. Der Artikel erschien übrigens in Sicks bekannter "Zwiebelfisch"-Kolumne, auf SPIEGEL ONLINE.

16.8.05

Kaskadierende Artikel-Aufmacher

Die Netzwelt-Redaktion gewinnt "völlig neue Eindrücke" durch CSS-Webdesign und eine zwei Jahre alte Website, weil sie die Agenturmeldung, auf der ihr Bericht basiert, nicht genau gelesen hat.

SPIEGEL ONLINE berichtet heute von Cascading Stylesheets, Formatierungsvorlagen für Webseiten, als "kaskadierenden Druckformaten". Der Artikel basiert auf einer AP-Meldung über den CSS Zen Garden, einer berühmten Webdesign-Site des CSS-Experten David Shea, die die typographischen Möglichkeiten der Formatvorlagen demonstriert. Wie Rochus Wolff in seinem Blog bemerkt, hat SPIEGEL ONLINE die Agenturmeldung mit einem eigenen Aufmacher versehen, in dem viel von "neu" und "jetzt" die Rede ist:
Mit "kaskadierenden Druckformaten" können Webdesigner mit einfachen Mitteln völlig neue Eindrücke schaffen. Eine Webseite zeigt jetzt, wie die Methode aus einer Bleiwüste verschiedenste blühende Landschaften macht - jeder kann eigene Vorstellungen hinzufügen.
Dass - wie Rochus Wolff schreibt - "anders als wahrscheinlich die meisten menschen, die ernsthaft und vor allem beruflich krams mit internetz und so machen", die Netzwelt-Redaktion den CSS Zen Garden noch nicht kannte, ist kein journalistischer Faux-pas. Doch sie hätte dem ersten Absatz der AP-Meldung Aufmerksamkeit schenken können, in dem es heisst, dass "Dave Shea vor zwei Jahren einen 'Zen-Garten' geschaffen" habe.

Danke an Rochus Wolff!

Nachtrag
Mittlerweile hat SPIEGEL ONLINE den gestrichenen Absatz der AP-Meldung wieder eingefügt, den Aufmacher aber belassen.

12.8.05

Lizenz zur Zeitungsente

SPIEGEL ONLINE hat etwas missverstanden und behauptet, unter Windows Vista werde keine freie Software mehr laufen.

"Powered by manager-magazin.de" meldet die SPIEGEL ONLINE-Netzwelt heute Unglaubliches über Windows Vista, die kommende Windows-Version von Microsoft:
Unter dem Motto "mehr Sicherheit" teilt der Konzern einen Seitenhieb an die Anbieter freier Software aus und feilt weiter an seinem Monopol. So sollen Word-Dokumente künftig verschlüsselt auf der Festplatte abgelegt und nur von vertrauenswürdiger Software geöffnet werden können.
Das heißt aber auch, dass zum Beispiel das "Open Office" extra zertifiziert werden muss, damit es weiter unter Windows angewandt werden kann. Auf keinen Fall soll man soll man nach dem Willen von Microsoft mit dem neuen Betriebssystem ein Programm ohne gültige Produktlizenz öffnen können. Dadurch kann Microsoft die Benutzung von Freeware praktisch unmöglich machen.
Stimmte diese Nachricht, so würden manager magazin und SPIEGEL ONLINE hier exklusiv Sensationen vermelden. Windows Vista wäre die erste Windows-Version, die dank Zertifikats-Zwang vollständig inkompatibel zu allen bisherigen Microsoft-Betriebssystemen würde. Weltweite Software-Investitionen in Multi-Milliarden-Höhe wären vernichtet, Firmen müßten Zertifikate kaufen, um ihre eigene, intern programmierte Windows-Software nutzen zu können, Anti-Monopol-Verfahren gegen Microsoft bekämen ungeahnten Auftrieb.

Doch Microsofts zweifelhafte Geschäftspolitik hin oder her, die von SPIEGEL ONLINE mitverwertete manager magazin-Meldung ist blanker Unsinn. Auf logisch kaum noch rekonstruierbare Weise vermengt sie Hörengesagtes verschiedener Provenienz:
  1. Microsofts vormals "Palladium" genannte Next Generation Secure Computing Base (NGSCB), in der kryptographisch zertifizierte Programme abgeschottet vom restlichen Windows-System laufen. Die NGSCB wird allerdings in Windows Vista nicht enthalten sein. Zudem setzt sie einen Krypto-Chip voraus, der den meisten heutigen Computern fehlt;
  2. dass neuere Windows-Versionen einschließlich Windows XP Microsoft-zertifizierte Hardware-Treiber vorsehen (jedoch nicht erzwingen - ganz abgesehen davon, dass zertifizierte Treiber aus technischer Sicht sinnvoll sind);
  3. dass Windows Vista eine verschlüsselte System-Festplattenpartition einrichtet und darin abgelegte Dateien nicht mehr zugänglich sein werden, wenn derselbe Rechner z.B. mit einer Linux-Boot-CD gestartet wird. Weder kümmert dies jedoch ein unter Windows laufendes (und nach wie vor installierbares) OpenOffice, noch blockiert es den Austausch von Word- und anderen Dateien über Disketten, CDs oder das Internet.
Ob unabhängig davon zukünftige Microsoft Word-Versionen ihre Dateien verschlüsselt speichern werden, ist zumindest diesem Blog nicht bekannt. Doch selbst wenn dies zuträfe, hätte es nichts mit Windows Vista zu tun.

Nachtrag
Sollte sich die SPIEGEL ONLINE-Redaktion auch wegen dieser Meldung im Netzwelt-Spiegel betrachtet haben, so tat sie es nur mit halbem Auge. In dem Artikel heisst es nun nicht mehr, Microsoft würde die Benutzung von freier Software "praktisch unmöglich machen", sondern bloß "erschweren". Der Unsinn vom Zertifikats- und "Produktlizenz"-Zwang für Software von Drittanbietern blieb unkorrigiert.

11.8.05

Abschreibversagen?

Widersprüchliches über den Tod des koreanischen Dauerspielers.

Über den Südkoreaner, der nach fünfzig Stunden Nonstop-Computerspiel zusammenbrach und starb, berichteten praktisch alle Nachrichtenmedien (z.B. Reuters und besonders ausführlich die BBC). Trotzdem schreibt SPIEGEL ONLINE, der Mann sei "wenige Minuten" nach einem letzten Telefonanruf aus dem Cyber-Café gestorben, während er laut BBC dort zwar kollabierte, aber erst Stunden später im Krankenhaus verschied. Und was die SPIEGEL ONLINE-Schlagzeile als Gewissheit meldet, "Herzversagen", ist laut Reuters, BBC und anderen Nachrichtenquellen - einschließlich der Pravda - lediglich eine Vermutung.
(Abermaliger Dank an D.B.!)

April im August

SPIEGEL ONLINE fällt auf einen alten Aprilscherz der Computerzeitschrift c't herein.

Dieser Lapsus war so peinlich, dass sich SPIEGEL ONLINE ausnahmsweise zur nachträglichen Korrektur eines eigenen Artikels genötigt sah: Wie noch in einem Heise-Forumsbeitrag nachgelesen werden kann, schloss die Erstfassung des Berichts "Überwachungstechnik - Briten testen funkende Autokennzeichen" mit dem Absatz:
Im März 2004 hatte die Computerzeitschrift "c't" enthüllt, dass auch in Deutschland Autokennzeichen vereinzelt RFID-Chips tragen. Eine Tüv-Prüfplakette, wie sie auf jedem Schild am Fahrzeugheck klebt, enthielt einen solchen Chip. Es handelte sich allerdings um einen passiven RFID-Tag. Ein Auslesen während der Fahrt ist damit kaum möglich, zumindest aber technisch deutlich aufwendiger als mit aktiven Tags.
In der mittlerweile korrigierten Fassung heisst es nun richtig:
Im März 2004 hatte die Computerzeitschrift "c't" als Aprilscherz "enthüllt", dass auch in Deutschland Autokennzeichen vereinzelt RFID-Chips tragen. Eine Tüv-Prüfplakette, wie sie auf jedem Schild am Fahrzeugheck klebt, habe angeblich einen solchen Chip getragen, hieß es in der Meldung. Was als Scherz gemeint war, könnte sich schon bald als real erweisen.
Ansonsten basiert der SPIEGEL ONLINE-Text auf einem Artikel von WIRED. Netzwelt-Spiegel-Leser D.B., von dem der Hinweis auf den unfreiwillig recyclten Aprilscherz stammt, merkt dazu an:
Anscheinend wundert sich kein Schwein, warum ausgerechnet die Polizei die Fälschungssicherheit von Nummernschildern testen soll. Soll sie auch nicht: In der Orginal PR vom DFI geht es darum, dass die RFID-Tags ausgelesen werden und die Polizei halt weiß, wo ihre Karren wann waren, also die Daten abgeglichen werden können. Die Londoner Polizei war auch Betatester der Congestion Charge.
(Vielen Dank, D.B.!)

Appajaat-Schick

(Un-)Sinn und (Un-)Verstand kyrillischer Buchstaben bei SPIEGEL ONLINE.

"Fritz Wepper" hat die "Apparatschik" genannte Technik-Testkolumne der SPIEGEL ONLINE-Netzwelt gelesen und schreibt:
Wenn man genau hinsieht, dann hat man in der Über-Überschrift bei http://www.spiegel.de/netzwelt/technologie/0,1518,369166,00.html ein gespiegeltes R vor Augen. Natürlich ist das ein total geekiger Trick der Netzwelt-Redakteure, denn das gespiegelte R in "Apparatschik" ist nicht irgendein Buchstabe. Nein, es ist ein Buchstabe aus dem kyrillischen Alphabet. Nur leider ist dort das gespiegelte R kein "R" sondern ein "Ja" und entsprechend müsste man es korrekt Appajaatschik aussprechen. Herzlichen Glückwunsch, liebe Fontspieler der Netzwelt. Ihr seid so gut, das ist unglaublich.

Mit dem Artikel hat das übrigens überhaupt nichts zu tun. Der ist sogar okay.

8.8.05

Was selbst Big Brother noch nicht weiß

SPIEGEL ONLINE verwechselt Jahreszahlen der Big Brother Awards.

SPIEGEL ONLINE informiert, dass wer will, bis zum 15.8. Kandidaten für den "Datenschutz-Negativpreis" Big Brother Award 2005 nominieren kann. Einschließlich der Beispielnennungen bisheriger Preisträger basiert diese Meldung auf der Pressemitteilung des Big Brother Award-Veranstalters FoeBuD e.V.. Die einzige Information, die SPIEGEL ONLINE hinzufügt, ist falsch: "Eine siebenköpfige Jury wählt aus den Vorschlägen 'die gemeinsten Datenkraken' des Jahres aus." Tatsächlich ist die Zusammensetzung der Jury noch gar nicht bekannt. Offensichtlich entging dem SPIEGEL ONLINE-Autor bei der Lektüre des Online-Nominierungsformulars, dass die dort links in einem Kasten genannten sieben Juroren unter der Überschrift "Die Jury 2004" firmieren.

Nachtrag
padeluun vom FoeBuD e.V. schreibt auf Nachfrage dieses Blogs: "eigentlich soll die Jury eine Konstante sein... es sind aber in der Tat sieben Organisationen; da der FoeBuD aber mit zwei Juroren vertreten ist, sind es tatsächlich 8 Köpfe ..."

Zweiter Nachtrag
Mittlerweile wurde der Artikel korrigiert: "Eine Jury, im Jahr 2004 bestand sie aus sieben Mitgliedern, [...]". Willkommen, liebe SPIEGEL Netzwelt-Redaktion, im Netzwelt-Spiegel.

6.8.05

Berauschendes aus der Wissenschaftsredaktion

SPIEGEL ONLINE sieht 4 KG Kokain täglich einen Fluss herunterschwimmen, weil es eine Studie nicht richtig gelesen hat.

Ausnahmsweise eine Notiz zu einem Artikel nicht aus der Netzwelt, sondern der Rubrik Wissenschaft von SPIEGEL ONLINE. Roland Popp, Leser dieses Blogs, sind "signifikante Fehler" in der Meldung "Berauschendes Flusswasser" ("Im Po, dem größten Fluss des Landes, schwimmen täglich vier Kilogramm Kokain gen Adria, Wert rund 240.000 Euro") aufgefallen, nachdem er zuvor einen korrespondierenden Artikel in Nature gelesen hatte. Er studierte daraufhin den originalen Forschungsbericht vom Mailänder Mario Negri-Institut für pharmakologische Forschung aus der Fachzeitschrift Environmental Health und verglich die Fakten. Hier sein Resümee:
  1. SPIEGEL ONLINE schreibt von 4 KG Kokain, die täglich den Po hinuntergespült würden. Richtig ist, es wurden die Stoffwechselprodukte, die der menschliche Körper nach Kokaingenuss ausscheidet, gemessen. Diese entsprechen einem Äquivalent von 4 KG genossenem Kokain täglich.
  2. SPIEGEL ONLINE schreibt: "Bisher hatten offizielle Befragungen ergeben, dass pro Tag etwa 15.000 Kokaindosen eingenommen werden ... womit sich die Statistik fast verdreifacht". In der Untersuchung ist aber von mindestens 15.000 "events" pro Monat die Rede, wodurch sich die Statistik sogar maximal verhundertfachen würde. So genau lässt sich das aber gar nicht sagen, denn die Befragten gaben lediglich an, "mindestens einmal im letzten Monat" Kokain konsumiert zu haben. Wie oft und welche Mengen ist nicht bekannt.
  3. SPIEGEL ONLINE schreibt ebenfalls erst: "dem Team ... entging nichts, kein einziges Gramm". Und drei Absätze später: "Der wirkliche Konsum könnte sogar noch höher liegen, meinte Zuccato. Denn einige Spuren des Kokains könnten im Fluss verloren gegangen sein oder sich am Boden abgesetzt haben." ???
Roland Popp betreibt einen eigenen Blog http://www.tageteam.de.

5.8.05

Nachrichtenviren

SPIEGEL ONLINE sieht eine "Sicherheitslücke" in der kommenden Windows-Version, weil es eine PR-Meldung eines Antiviren-Softwareherstellers aus zweiter Hand abschreibt, aufbauscht und missversteht.

SPIEGEL ONLINE schlägt Alarm im heutigen "Netzwelt"-Aufmacher:"Sicherheitslücke - Erster Windows-Vista-Virus aufgetaucht". Konkret geht es um Skripte für die neue Windows-Befehlszeilenumgebung MSH (zu der es einen informativen Wikipedia-Artikel gibt), die in kommenden Windows-Versionen die alte MSDOS-Kommandobox ersetzen soll.

Zwar relativiert SPIEGEL ONLINE die eigene Schlagzeile im selben Artikel und meldet, dass es sich bei den fünf "Danom" genannten Viren lediglich um "so genannte Proof-of-Concept-Viren" handele, die "nur geringe Schäden" verursachten. Und womöglich werde die MSH-Umgebung in Windows Vista noch gar nicht enthalten sein.

Die Schlagzeile wird aber nicht nur durch den Artikel, sondern auch durch die technischen Fakten konterkariert. Die Meldung von der "Sicherheitslücke" ist in diesem Fall schlicht falsch. Gäbe es mehr computertechnischen Sachverstand in der SPIEGEL ONLINE-Redaktion, so hätte man dort gewusst, dass man auf der Basis jeder gängigen Kommandozeilenumgebung, Skripting- und Programmiersprache viralen Code schreiben kann; für die bisherige DOS-Shell genauso wie für die Unix-Shells von Linux und MacOS X. Dies ist per se so wenig eine "Sicherheitslücke" wie die Tatsache, dass man mit Autos Unfälle bauen kann. Sicherheitslücken liegen erst dann vor, wenn viraler Code automatisch und mit Systemadministrator-Privilegien ausgeführt wird und sich deshalb unkontrolliert repliziert.

Nachzulesen sind diese Erklärungen zum Beispiel in den Kommentaren auf der sonst höchst Microsoft-unfreundlichen Computerfreak-Website Slashdot zur ursprünglichen MSH-Virus-Meldung der Computer-Nachrichtenwebsite ZDNet. ZDNet, für wechselhafte journalistische Qualität bekannt, hat seinerseits eine Pressemeldung des Antiviren-Softwareherstellers F-Secure abgeschrieben. Und der wiederum hat an allen Virus-Ängsten, auch irrationalen, kein ganz uneigennütziges Interesse.

Nachtrag
Heise Online resümiert den MSH-Virenalarm wie folgt:
Angesichts der Tatsache, dass selbst die "fortgeschrittenen" Varianten des Skriptes nicht einmal die Ausführung des einkopierten Codes sicherstellen, von einem Virus zu sprechen, ist jedoch reichlich überzogen.

Orakeln à la SPIEGEL ONLINE

SPIEGEL ONLINE versteht das Wort "free" falsch und mokiert sich darüber, dass Wikipedia-Gründer Jimmy Wales "von der schönen kostenlosen Internetwelt" träume.

Unter der Überschrift "Wiki-Orakel - Zehn Dinge, die umsonst sein werden" berichtet SPIEGEL ONLINE von der Frankfurter Wikimania-Konferenz, auf der sich Autoren der Wikipedia und ihrer Geschwisterprojekte treffen. Nicht nur widmet Autor Holger Dambeck die (mit Bedacht so genannte) Wikimedia-Konferenz in eine "Wikipedia-Konferenz" um, sondern er hat auch offensichtlich den Eröffnungsvortrag von Wikipedia-Gründer Jimmy Wales missverstanden:
Auf der Wikipedia-Konferenz in Frankfurt wird er morgen eine Liste von Angeboten vorstellen, die seiner Ansicht nach kostenlos sein werden. [...] "Zehn Dinge, die umsonst sein werden" - so lautet seine Keynote.
Wie auf den Wikimania-Seiten nachzulesen ist, lautet der Titel des Vortrags "Ten Things That Will Be Free" und präsentiert "his views on the future of the free content movement, detailing ten important things which will be free in the next decade." Wer mit dem Konzept "free content" vertraut ist, das sich von freier Software wie GNU und Linux ableitet, weiss allerdings, dass mit "free" nicht "kostenlos", sondern "frei" gemeint ist.

Die Überschrift, der Aufmacher und die (Falsch-)Information der SPIEGEL ONLINE-Meldung beruhen auf einer Fehlübersetzung aus dem Englischen. Diesen Lapsus hätte SPIEGEL ONLINE mit minimaler Eigenrecherche vermeiden können. Schon die Tatsache, dass die Wikimedia Foundation ja auch "Wikibooks" und Wikipedia-CDROMs verkauft, hätte den Autor stutzig machen sollen. Klarheit hätte er sich mit einem recherchierenden Blick in den Wikipedia-Artikel "Free Content" verschaffen können. Darin heißt es unmissverständlich:
The two meanings of the term free are often illustrated with the phrases "free as in beer," which alludes to monetary price or cost but has little to do with freedom, and "free as in speech," which alludes to the widely recognized freedom of speech (see, for example, the First Amendment to the United States Constitution), but which has little to do with monetary price or cost. The usage of "free" in "free content" carries the latter meaning - as in speech - because the emphasis is on everyone's freedom to engage with the content, understand it, modify it, and share it with others only.
Der heise online-Newsticker berichtet von Wales' Vortrag übrigens unter der korrekten Überschrift "Wikipedia-Gründer: Zehn Dinge, die frei sein müssen" und übersetzt Wales' zehn Punkte als Aufruf, "die Enzyklopädie zu befreien", "befreit das Wörterbuch", "Befreit die Ausbildung vom Kindergarten bis zur Universität " usw..